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Projekt “Kinder(leben) in Familien mit Partnerschaftsgewalt”

Ein kompetenzorientiertes Curriculum für Fachkräfte in Kitas, Schulen und Frauenhäusern zur Resilienzunterstützung für von häuslicher Gewalt betroffene Kinder

Ein Projekt des Instituts für Schule, Jugendhilfe und Familie e.V. in Kooperation mit Prof. Dr. Angelika Henschel (Leuphana Universität Lüneburg), gefördert von der Heidehof Stiftung

Quelle: www.pixabay.com

Ausgangssituation

Häusliche Gewalt (Domestic Violence) wird als Gewaltstraftat zwischen erwachsenen Personen in einer partnerschaftlichen Beziehung definiert, von der vor allem Frauen durch männliche Partner betroffen sind. Für die von Partnerschaftsgewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder bedeutet dies, dass sie nicht nur massive Einschränkungen in ihrem Leben, sondern mitunter auch schwerwiegende, vielfältige psychische und physische Schädigungen erfahren müssen. Zudem können mit der Zeugenschaft von Partnerschaftsgewalt auch weitere Gefährdungen für die in diesen Familien aufwachsenden Kinder und Jugendlichen verbunden sein. So gab bereits in der repräsentativen Prävalenzstudie “Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland” über die Hälfte der von Partnerschaftsgewalt betroffenen Frauen an, dass Kinder in ihrem Haushalt lebten und dass ihre Kinder die Gewaltsituation gehört (57%) oder gesehen (50%) hätten (BMFSFJ 2004, S.277). Kinder seien in die Auseinandersetzungen mitunter selbst hineingeraten, oder hätten versucht, die Befragten zu verteidigen (21-25%). Jedes zehnte Kind wurde dabei selbst angegriffen (ebd.).

Das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“, die sogenannte Istanbul-Konvention (2011), wurde 2018 von der Bundesregierung ratifiziert und gilt seitdem als Vorlage für entsprechende Gesetzesanpassungen bzw. gesetzliche Verbesserungen zum Schutz von Frauen und ihren Kindern vor Gewalt. Sie adressiert nicht nur Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sondern stärkt auch den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor allen Formen von Gewalt, indem sie anerkennt, dass sie immer Opfer häuslicher Gewalt sind, auch als Zeuginnen und Zeugen von Partnerschaftsgewalt in der Familie. Der Artikel 26 (Schutz und Unterstützung für Zeuginnen und Zeugen, die Kinder sind) erfordert daher die Bereitstellung von Schutz- und Hilfsdiensten für Opfer unter der Beachtung der Rechte und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. Auch der Artikel 13 (Bewusstseinsbildung) weist darauf hin, dass Programme und Kampagnen zur Bewusstseinsbildung gegen Formen von Gewalt sowie ihre Auswirkungen auf Kinder notwendig sind, um die Gewalt zu verhindern. Darüber hinaus erweist sich in Bezug auf Sorge- und Umgangsrechtsregelungen und somit auch hinsichtlich des Kindeswohls Artikel 31 (Sorgerecht, Besuchsrecht, Sicherheit) als hilfreich und unterstützend, da er dazu auffordert, gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht zu berücksichtigen (s.a. Henschel).


Kurzbeschreibung des Projektes

Da sich Partnerschaftsgewalt in der Privatheit und somit vor allem innerhalb des alltäglichen familiären Lebens und in den eigenen vier Wänden ereignet, bleibt sie in der Regel vor der Öffentlichkeit verborgen. Dabei gilt das Miterleben von Partnerschaftsgewalt in der Familie als besonderes Entwicklungsrisiko und sollte im Sinne von Kinderschutz und Kindeswohl frühzeitig erkannt und verhindert werden. Als sekundäre Sozialisationsinstanzen kommen daher Krippen, Kindertagesstätten und Schulen besondere Bedeutung hinsichtlich des Erkennens von häuslicher Gewalt zu. Sie stellen als Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung sowie als Schulen die ersten Institutionen außerhalb der Familie dar, in denen die Gewalt innerhalb der Partnerschaft oder Familie erkannt werden könnte.

Die Aufklärung über die Thematik Partnerschaftsgewalt sowie die damit verbundenen Folgen und Risiken für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, die in diesem Kontext aufwachsen müssen, sollte daher im Sinne des verbesserten Kinderschutzes ebenso Eingang in die Aus- und Fortbildungen von Fachkräften finden, wie dies bereits vielerorts für die Thematik Kindeswohlgefährdung und Kinderschutz in Bezug auf unterschiedliche Formen und Ausprägungen der Kindesmisshandlung bzw. Kindesvernachlässigung gilt. Bis heute wird die Thematik häusliche Gewalt/Partnerschaftsgewalt jedoch nur unzureichend innerhalb der Aus- und Fortbildung von sozialpädagogischen Fach- und Lehrkräften berücksichtigt und in Kinderschutzkonzepten verankert. Daher fühlen sich viele Fachkräfte im Umgang mit der Thematik Partnerschaftsgewalt und ihren Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder überfordert.

Die Bundesregierung hat sich durch die Ratifizierung und das Inkrafttreten der Istanbul Konvention im Februar 2018 dazu verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um der Menschenrechtsverletzung, als die die Gewalt gegen Frauen anerkannt wird, wirkungsvoll zu begegnen. So sind zukünftig auch die Institutionen im Bildungsbereich gefordert, sich laut Art.14 der Istanbul Konvention mit der Thematik auseinanderzusetzen und im Rahmen des jeweiligen Bildungsangebotes dafür Sorge zu tragen, dass Schüler*innen, Auszubildende sowie Studierende in die Lage versetzt werden, sich mit der Gleichstellung von Männern und Frauen auseinanderzusetzen.

Hier setzt das Projekt an, um Lehr- und pädagogische Fachkräfte durch handlungsorientierte Aus- und Fortbildungsformate zu befähigen, Kindern und Jugendlichen durch Resilienzstärkung und Partizipation bei der Verarbeitung ihrer Gewalterfahrungen im Sinne von Prävention zu helfen und entsprechend des Schutzauftrages und im Sinne des Kindeswohls gegebenenfalls auch intervenierend eingreifen zu können. Das Projekt wird entsprechende Fort- und Ausbildungsformate und eine Materialsammlung im Zeitraum vom 01.04.2022 bis 31.03.2024 entwickeln und durch (neue) Kooperationen und Vernetzung der Fachkräfte, sollen dabei besondere Möglichkeiten für die Erfüllung dieser herausfordernden Aufgabe ermöglicht werden.


Unsere Zielgruppen und Maßnahmen

Expert*innengremium


Das interdisziplinäre Expertinnengremium tagt dreimal im Projektverlauf. Die Mitglieder sind einerseits Kooperationspartner*innen aber auch Multiplikator*innen.

Fachkräfte aus Kitas, Schulen und Frauenhäusern

Fachkräfte aus Kitas, Schulen und Frauenhäusern erhalten die Möglichkeit zur Teilnahme an einer neu konzipierten Fortbildung, die nach der Evaluation ein zweites Mal angeboten wird.

Studierende (BBS)


Studierende der Fachrichtung “Lehramt berufsbildende Schulen, Fachrichtung Sozialpädagogik” erproben und evaluieren an der Leuphana Universität Lüneburg ein neu konzipiertes Seminarkonzept zur Thematik.

Materialsammlung

Neben den kompetenzorientierten Curricula für die Fort- und Ausbildung zum Umgang mit von Partnerschaftsgewalt betroffenen Kindern und Jugendlichen, wird im Projektverlauf eine Materialsammlung für interessierte Fachkräfte entstehen.


Die besondere Situation der Kinder und Jugendlichen im Kontext von häuslicher Gewalt und die Notwendigkeit von resilienzfördernden Zugängen der Sozialisationsinstanzen

Der Artikel 26 der Istanbul Konvention (Schutz und Unterstützung für Zeuginnen und Zeugen, die Kinder sind) erfordert die Bereitstellung von Schutz- und Hilfsdiensten für Opfer unter der Beachtung der Rechte und Bedürfnisse von Kindern. Die Beobachtung von Partnerschaftsgewalt durch Kinder und Jugendliche stellt bereits eine Kindeswohlgefährdung dar, die es einzudämmen bzw. präventiv abzustellen sowie durch angemessene Interventionsmaßnahmen zu verhindern gilt. Sollen Kinder und Jugendliche in der Verarbeitung ihrer Gewalterfahrungen unterstützt werden, bedarf es interprofessioneller und interinstitutioneller Kooperationsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Akteuren in der Antigewaltarbeit (z. B. Frauenhäuser, Kitas, Schulen, Jugendhilfe). Hierfür benötigen die Professionellen neben zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen Kenntnisse über hierarchische, gewaltbegünstigende Geschlechter- und Generationenverhältnisse, die Partnerschaftsgewalt und Kindeswohlgefährdung zu verursachen vermögen (vgl. Henschel in AWO 2022, S. 32 ff.).

Quelle: www.pixabay.com

Wenn die intergenerationelle Weitergabe von Gewalt verhindert werden soll, bedürfen Kinder und Jugendliche angemessener Unterstützung bei der Verarbeitung ihrer Gewalterfahrungen, wobei die Rechte und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu achten sind. Im Sinne der Resilienzstärkung bedeutet dies, neben vertrauens- und respektvollen sowie wertschätzenden und verlässlichen Beziehungsangeboten auch Selbstwirksamkeitserfahrungen durch Partizipation zu ermöglichen. Zugleich darf jedoch das Konzept der Resilienzstärkung nicht dazu missbraucht werden, die Verantwortung für die Bewältigung von Gewalterfahrungen im Sinne unkritischer Anpassungsleistungen durch Kinder und Jugendliche erbringen zu lassen bzw. hierdurch Optimierungsstrategien hinsichtlich der Ausbildung von Stressresistenz das Wort zu reden. Neben der individuellen Stärkung von Ressourcen muss es stattdessen auch darum gehen, gesellschaftlich zu verantwortende Geschlechter- und Generationenverhältnisse nachhaltig strukturell dahingehend zu verändern, dass die Gewalt beseitigt werden kann (siehe Henschel).

Henschel, A. (2019): Frauenhauskinder und ihr Weg ins Leben: Das Frauenhaus als entwicklungsunterstützende Sozialisationsinstanz. Opladen: Barbara Budrich Verlag.


Hauptziele des Projektes

– Eine Sensibilisierung bisher unzureichend erreichter Zielgruppen für die Problematik der häuslichen Gewalt und die damit verbundenen Entwicklungsrisiken für von häuslicher Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche.

Resilienz stärkende Faktoren im Sinne “äußerer Schutzfaktoren” identifizieren und im Kontext von päd. Angeboten einbinden.

Vernetzung und Kooperationen zwischen den Akteur*innen in der Frauenhausarbeit, Fachkräfte in Kitas (Fachberater*innen, Erzieher*innen) und in der Schule (z. B. angehende BBS Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen) befördern, um den Kinderschutz zu verbessern.

– Partizipative Entwicklung kompetenz- und handlungsorientierter Curricula für die Zielgruppen.

Durchführung und Evaluation von zwei Fortbildungsveranstaltungen und einem Seminar für angehende Lehrkräfte.

– Den gesamten Entwicklungs- und Forschungsprozess ergebnisorientiert dokumentieren  (z.B. Entwicklung eines Modulhandbuchs für Fortbildungsangebote, Handlungsempfehlungen, etc.) sowie Veröffentlichungen in der wissenschaftlichen Fachliteratur.

– Die Übertragbarkeit in andere Bundesländer und die Dissemination in Hochschulen und in der Lehrkräfte-Fortbildung sowie den Berufs- bzw. Fachschulen mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik ermöglichen.